(Schon lange) wieder Deutschland

Veröffentlicht am 14.04.2003.
Neulich habe ich mal wieder in mein Tagebuch geschaut, dabei konnte ich allerdings nur einen alten Einrag von vor 30 Tagen lesen. Kein Wunder, bin ich doch von meinem damaligen Schreibfleck, dem Flughafen in Luanda in ganz neue Gefilde aufgebrochen. Jetzt soll es auch für die Internettagebuchleser kein Geheimnis mehr sein: Ich bin in Europa, genauer Deutschland, genauer Dresden angekommen und ganz gut, glaube ich. Für mich, der sich errinert, verkehrtherum aber dem Leser zuliebe versuche ich mich in einer chronologischen Darstellung meiner Ankunft.

Es ist dunkel über Deutschland, ich versuche mich langsam an den sich noch querstellenden Gedanken zu gewöhnen, jetzt gleich wieder in der Heimat zu sein, mich gleich wieder bewegen zu müssen. In Flugzeugen gewöhnt man sich schnell an ein sehr passives Verhalten: Nicht reden, sondern angesprochen werden: "Do you want a towel, Sir?" Na klar, statt Dusche gibt es Waschlappen und Handtuch, Flugzugfrühstück mit viel zu kleinem Brötchen (doch mir ist durchaus klar, dass mein Jahr im Ausland durch einige Pfunde zusätzlich auf den Rippen erhalten bleibt) und einem viel zu kleinen Kaffee (doch mir ist außerdem klar, dass meine nette Mama mehr vom Trunk der Muselmänner anbieten wird, später) über Deutschland. Nun dauert es ewig und geht irgendwie ganz schnell in zaubertraumartiger Geschwindigkeit: Landung 6 Uhr morgens. Ganz kurz/viel später kommt das Gepäck 6:30 Uhr und ich darf durch den Zoll, ungefähr 5 Mal zeige ich meinen Pass, EU-Einreise. Und dann steht da. . . . .Mama. Sie sieht unglaublich geschafft aus. Es ist kalt, wir begrüßen uns langsam, langsam und es ist toll, willkommen zu sein. Wir gehen drei Schritte, es kommt mir unerwartet eine Tür nach Draußen, dort steht. . . . .Opelino. Wie schon immer hier rasen wir über perfekte Asphaltautobahnen, doch überall stechen mir die offensichtlich falschen Farben ins Auge. Himmel: falsch. Gesichter: krank und kalt und falsch. Bäume, Gras: tod, falsch. Wo bin ich, ist das die Heimat? Mama hat meine Musik, wir hören tolles, doch dann jene capverdische Evora, die ich schon so lange nicht mehr gehört habe, sie singt portugiesisch. Das schmerzt, Heimweh, dass ich nicht mehr zurückhalten kann. Nicht nur das: Jede Redewendung, jede Vokabel errinnert mich an Arlette, Guito, Dinda, meine Freunde aus Angola eben. Tja, deutsch ist eine schauderhafte Sprache, diese Meinung habe ich ja schon einige Jahre. Natürlich nicht der Sprache selbst wegen, das mit ihr verbundene Gefühl ist der Grund. Erklären kann ich das nicht.
Ein erstes preiswert-leckeres Frühstück bei McDonalds auf der Fahrt ist eine nette Überraschung (genau hier hatte ich schon mit Margit gespeist), die ersten Anrufe, ich rede mit der Oma.

Dann die ersten Tage, Planlosigkeit. Ich bin weder hier noch da, fühle mich trotz netter Umsorgung einsam. Da helfen auch Anrufe in Luanda bei Arlette nicht. Ach so, die lange geheimgehaltenen Details um sie möchte ich hier zur Gewissenserleichterung auch gleich mal niederschreiben: Die Gute war meine Freundin in meinen letzten Wochen in Huambo, allerdings ist das gar nicht ihr jetziges Zuhause: In Huambo wohnt sie nur in ihrem alten Haus, in dem jetzt noch Schwester und Mutter leben. Denn hier erledigen Arlettes Angestellte die Arbeit, sie kommt nur zur Kontrolle: Eine Kiosk mit Getränken und von ihr aus Brasilien importierten Klamotten und Accesoires besitzt sie im Park. Doch eigentlich ist die selbstbewußte 34-jährige Mutter des 17-jährigen Frauenschwarms Dorivaldo in der Hauptstadt Angolas, Luanda, zu Hause. Natürlich ist es nicht toll, Arlette dort allein zu lassen, doch soll sie sich hier wieder ihrem langjähren Liebhaber Arnold widmen, ein 64-jähriger Schweizer, der sein Geld bei CHA/Swiss Development Cooporation verdient.

Meine Schwester Ulla hatte ja irgendwie schon lange Freundin Sophia, die habe ich allerdings noch nie bewußt getroffen, oder zumindest mir nicht eingeprägt. Seit meiner Ankunft hat sich das jetzt radikal verändert: Denn Sophias Schwester Kerstin und ich hatten am 15. März jenes erste und gleich so besondere Date, das sich über Stadtwanderung und Blumenauer Milchkaffee zum wilden Geknuschte in Oma Golf auf der Möchtegern-Baustelle des Hundertwasserhauses auf der Prießnitzstraße entwickelte und den Beginn einer weiteren hetero-Beziehung markierte. Und verschiedener könnten meine Freundinnen wohl nicht sein: Kerstin ist junge 15, raucht und trägt ausschließlich schwarze Klamotten. In den ebenso schwarzen Springerstiefeln schlängeln sich allerdings knallbunte Schnürsenkel. Natürlich sind die Rollen klar verteilt: Ich bin der Lehrer, der Papa, der große Bruder. Und der Vorzeigefreund sowieso. Gymnasiast, das ist toll zum Präsentieren, denn besucht die 9. Realschulklasse, nach ihrer Auskunft vollgestopft mit Idioten. So sieht's denn wohl aus.

Auf meiner Suche nach einer Wohnung habe ich mich strikt von der gedruckten SAX abgewandt, zum Ärger meiner Mutter, die der SAX in jeder Kategorie den ersten Platz gönnt. Stattdessen habe ich Studenten-WG.de befragt. In der ersten Woche hat das ganz wunderbar geklappt: 2 tolle Wohnungen (Pestalozziplatz und Münchner Straße). Wenn man sich denn nur entscheiden könnte, welche die beste ist, bevor sie die Bewohner für einen Entschlosseneren entscheiden! Die Woche drauf habe ich mir also wieder WGs angeschaut, diemal habe ich aber gleich zugeschlagen: Nürnberger 28e, ich wohne einer BWLerin und einem Geologen zusammen. Das ist gut, denn ich übernachte bis jetzt meist bei meiner Schwester im Zimmer und desderwegen passt's nicht zu toll, wenn die Kerstin dann mit mir auch noch auf dem Sofa schläft. Wir habens trotzdem 3 Mal gewagt. War nett und gemütlich, aber irgendwie haben wir uns auch gegenseitig etwas gestört. Außerdem geht mir das Chaos des aus-der-Kiste-lebens doch irgendwie auf den Keks. Noch dazu weil ich mich - man lese und staune - für das Studium der Physik entschlossen habe und seit 2 Wochen zur Uni renne, mal mehr und mal weniger zufriedengestellt. Unbestritten, über Irrungen und Wirrungen eines angehenden Füsikers muss berichtet werden. Doch eben jene bringen mich jetzt ins Bett, denn morgen genau 7:30 Uhr geht mein Matheseminar los und Matheseminare sind ja schließlich nicht zum Verschlafen, nicht Vordergründig. Deswegen sage ich als Student [email protected]  3 Minuten vor Mitternacht doch noch Gute Nacht.

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