Schlomis Geburt

Veröffentlicht am 04.09.2006.
Hallo Welt! Schon lange ist der Nestbau abgeschlossen und wir warten ungeduldig, vielleicht auf heute? Ein letzter gemeinsamer Gang ins Kino - Adam´s Äpfel (ein ausgesprochen guter Film übrigens) - zuhause noch Sabine Christiansen, und dann geht’s plötzlich langsam los.

Tina hat womöglich seit 40 Minuten Wehen, aber wer weiß schon, wie sich das anfühlt? Schnell haben wir die letzten Sachen für die Geburtstasche eingepackt: Cola, Zahnbürsten - und was ziehen wir der Kleinen an??? Außerdem muss die Geburtsmusik aus der Winamp-Playlist auf CDs. Jetzt lächelt mich Tina müde an, wartet auf Wehen und deren regelmäßiges Eintreffen - 10 Minuten Pause zwischendurch. Ich habe mir im allgemeinen Hochgefühl mal wieder Kizomba (=Musik aus Angola) angeschaltet.

Da es kurz nach Mitternacht ist, haben wir bisher nur den Papa Frank angerufen, der will sich allerdings noch mal schlafen legen. Ich könnte das nie - sein erster Enkel!

Und was macht man sonst noch vor einer Geburt? Während die Schlomine sich den Weg in Gedanken vorbereitet, denke ich an die DREWAG (=Dresdner Stromanbieter), bei denen ich zwecks Wechsel zu Lichtblick gekündigt hab und deshalb den Zählerstand melden möchte. - estou cantando -

Jetzt lassen wir Basewasser ein, um die Wehen (immer noch aller 6 Minuten, die letzte dauerte etwa 55 Sekunden) auf Echtheit zu prüfen. Die Wehen bleiben.

Nun, das sind echte! Heißt das etwa, dass mir bald meine Tochter in die Arme flutschen wird?! Jedenfalls kommen die Wehen kurzzeitig seltener, dafür nach dem Verlassen der Wanne aller 5 Minuten. Deshalb haben wir auch die Evi-Hebamme angerufen, sie begibt sich jetzt auf die weite Reise von Meißen nach Bühlau. Wir rufen Papa Frank an, er trinkt noch schnell seinen letzten Kaffeetropfen und fährt zu uns, um uns abzuholen. Jetzt spielt der letzte Tango (Piazzolla).

Die letzten Wehen waren mittlerweile nicht mehr so gut auszuhalten, Tina hockt oft auf dem Boden und atmet. Und schon geht's los: Fahrt durch's nächtliche Dresden und Ankunft in der Hebammenpraxis Bühlau - jetzt zum 1. Mal mit Auto. Wir kraxeln die Treppen hoch bloß um oben festzustellen, dass es auch einen Fahrstuhl gibt. Evi begrüßt uns mit Kerzenlicht, heißem Tee und Freundlichkeit - obwohl wir sie eben aus dem Schlaf geholt haben. Nach und nach gewöhne ich mich an die Gerüche (Wäsche - so roch sie auch zur Nachtschicht zu meiner Zivildienstzeit auf der Berni). Tina hat sich den bequemsten Stuhl in dem gemütlichen Raum gesucht und einige Wehen später schließt Evi das CTG (=Cardiotokograph=Herztöne und Wehen auf-Papier-mal-Maschine) an: der Kleinen geht's prächtig! Das Gerät überträgt die Messdaten per Funk, und diese Bewegungsfreiheit wird Tina später noch ausgiebig nutzen.

Noch ist die Zeit zwischen den Wehen frei von Schmerzen und so können wir uns noch fröhlich unterhalten, wenn auch aufgrund der späten Stunde langsam Müdigkeit aufkommt (4.9. ≈3 Uhr). Etwa eine Stunde nach unserer Ankunft wird Papa Frank heimgeschickt und Evi begutachtet den Muttermund. Nur ein ganz klein wenig offen, vielleicht 2 Zentimeter, nicht viel mehr als zu unserer letzten Untersuchung am Freitag. Was zum Teufel machen die Wehen bloß? Wie an anderen Tagen auch beginnt irgendwann der Morgen zu dämmern. Nach und nach nimmt zumindest bei Tina die Müdigkeit überhand, und Evi rät uns zu ihrem Zaubertrank. Sie will nur noch fix einen Ultraschall machen, dem Baby geht’s gut, und als die beiden wiederkommen schlafe ich schon tief und fest. Es ist 7 Uhr. Vorher bekommt Tina noch schnell die Flexüle (Nadel mit Schraubverschluss, die erst nach der Geburt entfernt werden wird) und mir mit meiner Nadel-in-Haut-Anschau-Phobie wird klar, dass diese Geburt keine leichte Zeit für mich sein könnte. Dann scheint die Schlomine mit unbekannter Adresse verzogen, denn das Mikro für die Herztöne hört nix mehr - Hebammen wissen zum Glück dass das keinerlei Grund zur Panik ist, denn in diesem Fall wird Bäuchen mehr geglaubt als grünen LEDs. Stattdessen schauen sie sich den Bauch im Ultraschall an - alles super. Dann darf auch Tina schlummern und wir wachen erst gegen 10 wieder auf. Das Schlafmittel ist wundervoll, Tina wacht nur zu den Wehen auf, verarbeitet sie und fällt dann sofort wieder ins Traumland. Wir sind wieder halbwegs munter, nur die Wehen sind nur noch ein Hauch, wenn auch ein schmerzhafter. Was tut man da? Zum Aldi gehen und Alkohol für Jäger kaufen, denn der gehört in einen richtigen Wehencocktail, außerdem dürfen Rizinusöl und diverse Geheimnisse nicht fehlen.

Zur besseren Verwertung des nicht ganz so leckeren Trunks gehen wir ein Stück und machen Rast bei einer hungrigen Schafherde. Leider verträgt Tina den Trunk nicht so gut wie die Schafe das Gras und lässt ihn als Fleck auf der Wiese zurück. Wir wandern zurück zum Geburtshaus, kommen an der Bibo vorbei und geben noch schnell ein paar Ausleihen zurück - an was man so alles denkt... Selbst unter Wehen. Eigentlich hatten wir ja geglaubt, wir hätten beim Morgengrauen unsere Schlomi im Arm und wären gegen Mittag wieder zu Hause. Pustekuchen! Zwischendurch kommt eine andere Frau mit Wehen ins andere Geburtszimmer, nach zwei Stunden ist sie fertig - es ist ein Till - und nach noch mal zwei Stunden ist sie wieder weg. Tina findet das deprimierend.
Evi guckt mittags noch mal den Muttermund an, ein paar Zentimeter mehr scheint er geschafft zu haben, denn sie sieht zufrieden aus. Genaue Größenangaben gibt sie uns aber leider nicht. Sie fragt ob Tina einen Einlauf möchte - der Wehencocktail hat ja nicht angeschlagen, aber Tina kann während der Wehen schon kaum lange genug sitzen um zu pinkeln - also keinen Einlauf. Sie isst ein paar Kekse - Energie ist wichtig - und weil sie bald auch nicht mehr stehen kann, geht’s ab aufs Bett. Während einer Wehe wollen dann auch die Kekse nicht mehr bleiben und verabschieden sich in eine gerade rechtzeitig hingehaltene Schüssel. Jetzt dauert das aber schon ganz schön lange. Gegen 14 Uhr kommt der Doktor kurz rein, Evi raunt ihm ein Wort zu - "Fünf" - dann geht er wieder. Tina ist entmutigt. 15 Stunden Schmerz für lumpige 5 Zentimeter!
Während einer Wehe schnipst Evi die Fruchtblase auf und verspricht dass die Wehen jetzt schneller und kräftiger kommen. Tinas Kommentar: "Oh nein!" Nach einiger Zeit werden die Wehen trotzdem kräftiger und noch viel kräftiger und dann noch mal kräftiger, mit anderen Worten unerträglich. Deshalb ist Tina so gegen 6 schon total fertig, will am liebsten sterben.
Ab jetzt hat Tina partielle Filmrisse. Als ich sie hinterher auf die Stunden nach 14 Uhr anspreche kann sie sich an kaum etwas erinnern. Evi versucht den Muttermund manuell zu weiten, damit es schneller geht, ist aber nicht so recht erfolgreich damit. Tina bittet und bettelt, sie möge aufhören und beginnt Evi zu treten, sobald diese den Muttermund auch nur berührt. Sie droht damit aus dem offenen Fenster zu springen, sie würde die Schmerzen nicht mehr aushalten, doch ihre kleinen Ausflüge sind nach jeweils 2 Schritten beendet, wo sie eine Wehe zu Boden drückt.
Daran ändert sich auch gegen 7 nichts, zumal die Wehen jetzt das Kind keinen Millimeter voranbewegen. Seit Stunden steht der Saum am Muttermund und weicht kein Stück. Eigentlich sollte das der Part sein, der insgesamt nur wenig Zeit in Anspruch nimmt - nix da. So ist sie dann gegen 8 so verzweifelt, dass die Hebammen mich zu einer Krisensitzung im Flur einberufen. Tina brüllt nach Schmerzmitteln und einem Kaiserschnitt, obwohl uns allen klar ist, dass sie das gar nicht will.
Evi und der Doktor sind dafür, Tina ins Krankenhaus zu schaffen. Evi ist müde und das ganze dauert schon so lange. Zwei Möglichkeiten haben wir, werde ich aufgeklärt, ab ins Krankenhaus und die Verantwortung abgeben oder noch mal das Schlafmittel - für maximal eine halbe Stunde allerdings - und darauf hoffen, dass ein wenig Entspannung Tina helfen wird.
Wir entscheiden uns für den Zaubertrank, der uns auch schon die Morgenstunden angenehm gemacht hat. Die Zweithebamme Anke, die nun auch seit einiger zeit an Tinas Bett wacht, glaubt ganz fest daran, dass sie es allein schaffen kann, ohne Krankenhaus. Wir lassen auch Tina an der Entscheidung teilhaben. Sie sagt, sie will keine Wehen mehr haben, das Kind soll drin bleiben. In ihrem jetzigen Zustand glaubt sie wirklich, dass das möglich wäre. Letzten Endes will sie aber doch das Schlafmittel. Eine halbe Stunde ist nicht viel, aber Evi verspricht, wenn es nichts bringt kommt sie ins Krankenhaus.
Also wird sie abends um 8 noch mal an den Tropf angeschlossen und pennt sofort weg. Erstaunlicherweise bekommt Tina zwar nichts mit, aber effektive und wirksame Wehen. Als die Wirkung nach einer Dreiviertelstunde nachlässt, sind endlich die lang herbeigesehnten Presswehen da. Plötzlich ist Tina wieder ganz beieinander, ein Ende ist in Sicht, sie stellt sich in den Vierfüßler, arbeitet mit den Wehen und ist wieder richtig ansprechbar. Zwischen dem Pressen macht sie sich sogar noch einen frischen Zopf, die fliegenden Haare stören sie. Evi massiert den Damm mit Kaffee und Öl, sie lassen Tina aber ihr eigenes Tempo. Sie arbeitet langsam aber konzentriert, stöhnt vor Anstrengung, aber endlich nicht mehr vor Schmerzen. Und schnell zeigt sich auch das Köpfchen. Kommt kurz raus und dann gleich wieder ein. Und noch mal. Nach kurzer Zeit ist der Kopf geboren, noch eine einzige Wehe und mit einem Riesenschwall flutscht auch der Körper hinterher, juchhu meine Tochter ist ganz niedlich!
Noch ein wenig blau liegt sie da, die Hebammen wischen noch ein wenig an ihr herum und legen sie dann auf Tinas Bauch. Ein kleines mittlerweile rosa Wesen, das uns aus großen Augen ansieht. Sie scheint mit sich und der Welt im Reinen, denn sie weint auch nicht. Guckt nur mit riesengroßen blauen Augen... Wunderbares weiches, zart duftendes Baby. Wie wir sie nun nennen wollen, fragen die Hebammen, Wir hatten ihnen schon vorher anvertraut, dass es eine Flora oder Florentine werden wird. Wir können uns nicht entscheiden, und Anke meint, sie wäre rausgeflutscht wie eine Florentine - nun gut, dann haben wir jetzt eben eine Florentine.
Die Hebammen befassen sich diskret mit der Nachgeburt, während wir unsere Tochter kennen lernen. Tina weint ein wenig - vor Freude natürlich. Dann soll ich die Nabelschnur durchschneiden - ich und Blut? nein Danke! Tina übernimmt diesen Job. Schlomi wird nur noch schnell gewogen und gemessen, 54 Zentimeter und 3410 g und dann ziehen sich die Hebammen diskret zurück, gehen ein bisschen Schlaf nachholen, während wir uns daran gewöhnen eine Familie zu sein. Wir rufen die frischgebackenen Oma, Opa und Uroma an.
Und anstatt danach zu schlafen reden wir beiden erst einmal. Ich erzähle Tina von den vergangenen Stunden; sie hat so viel vergessen. Und wir betrachten unsere Tochter, die in ein Handtuch gewickelt zwischen uns liegt. So verbringen wir die Nacht und morgens um 8 holt Papa Frank uns wieder ab - wir freuen uns auf ein schönes, langes und reichhaltiges Frühstück zuhause...

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